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Sie kann wieder lächeln: Finja Murach (vorn). Über diesen großen Erfolg der 15-Jährigen in der Praxisklasse der Oberschule Rodenkirchen freuen sich (von links) Berufsstartbegleiter Jörg Naß, Klassenlehrer Carsten Freels, die Mutter Silke Murach und die Schulleiterin Anja Bode . BILD: Henning Bielefeld


Ein Mobbing-Opfer findet wieder zu sich selbst
OBERSCHULE RODENKIRCHEN - In Praxisklasse schöpft die 15-jährige Finja nach schweren Jahren neuen Mut und Selbstvertrauen
Henning Bielefeld


RODENKIRCHEN. (bi) Keiner darf zurückbleiben, sagen Bildungspolitiker gern in ihren Sonntagsreden. Die Realität sieht oft anders aus. Nicht so an der Oberschule Rodenkirchen. In ihrer Praxisklasse 8 P hat eine Schülerin mit langjährigen Mobbingerfahrungen in kürzester Zeit die Kurve gekriegt – vor allem, weil sie selbst ihren inneren Schalter umgelegt hat. Aber dabei haben alle geholfen: Lehrer, Berufsstartbegleiter, Schulleitung und nicht zuletzt die Eltern.
Gute Noten
„Zweien und Dreien statt Fünfen und Sechsen“, konstatiert der Berufsstartbegleiter Jörg Naß. Und die 15-jährige Finja Murach sitzt aufrecht dabei und lächelt stolz. Aufrecht und stolz, so sollen Menschen sein, wenn sie das Leben bei den Hörnern packen. Aber Finja war über Jahre hinweg zusammengesunken und ohne Mut. Heute kann sie offen und geradeheraus über diese schreckliche Zeit sprechen. Welch ein Wandel!
Zu verdanken ist er der ex­trem seltenen Einrichtung der Praxisklasse, in der Schüler, zu denen die Regelschulen nicht durchdringen können, in einer Kombination aus Unterricht, der die eigentlich vorhanden sein sollenden Grundlagen neu legt, und Praktika bei Unternehmen, etwa aus dem Handwerk, wieder Freude am Lernen finden können. Finanziert wird diese Einrichtung vom Kreis.
Finja Murach hatte weder Freude am Lernen noch an der Schule. Schon in der Grundschule setzte das Mobbing ein, in der weiterführenden Schule drehte sich die Spirale weiter. Mit Worten, Gesten und digitalen Nachrichten verunsicherten die mobbenden Mitschüler das Mädchen, selbst der elterliche Garten war nicht tabu. Möglicherweise erkannten sie in Finja ein Opfer, weil das Mädchen hochsensibel ist und intensiv auf seine Mitmenschen reagiert.
Die Mutter Silke Murach tat alles, um ihrer Tochter den Rücken zu stärken, nahm sogar vorübergehend professionelle Hilfe für sie an und beschloss endlich, Finja eine neue Schule zu besorgen in einer anderen Kommune der Wesermarsch.
Fündig wurde sie in der Oberschule Rodenkirchen, wo sie sich von Schulleiterin Anja Bode und ihrem Team in einer Art und Weise angenommen und ernst genommen fühlt, wie sie es bisher nicht kannte.
Tragödie geht weiter
Doch nicht nur Finja war nach Rodenkirchen gewechselt, auch einige Mitglieder der Mobbinggruppe. Und so ging die Tragödie in der siebten Klasse weiter. Jörg Naß, der mit offenen Augen durch seine Schule geht, sah das in sich zusammengesunkene schmale Mädchen mit den leuchtend roten Haaren und fragte sich, warum es jeden Tag schon um 9.10 Uhr nach Hause geht. Die Antwort: Anja Bode hatte in diese, wie es offiziell heißt, Minderbeschulung eingewilligt, um weiteren Schaden von ihrer Schülerin abzuwenden. Das war Hilfe in größter Not, aber keine Lösung des Pro­blems.
Die Lösung hatte Jörg Naß. Die Praxisklassen 8 und 9 haben schon viele verzweifelte Schüler auf den richtigen Weg geführt. Warum nicht auch Finja?
Eltern und Schülerin nahmen das Angebot an, und Finja wurde ein anderer Mensch. In langen Gesprächen mit ihrer Mutter drang sie zu ihrem Wesenskern vor, den das Mobbing verschüttet hatte. Nein, sie wollte nicht scheitern. Ja, sie wollte erfolgreich sein, oben stehen und ihr Leben in die Hand nehmen. Selbst die Tatsache, dass die Anführerin der Mobbinggruppe auch in der Praxisklasse saß, brachte Finja nicht mehr von ihrem Willen zum Erfolg ab.
Arbeit auf dem Dach
Inzwischen schreibt Finja gute Noten, selbst in Mathe, bewährt sich als Dachdecker-Praktikantin im Betrieb von Udo Stallkamp und ist ein ganz anderer Mensch geworden. Kürzlich hielt sie ihren Klassenkameraden eine Gardinenpredigt: „Die Schule ist eure Chance!“
Diese Entwicklung ist ein Wunder, wenn auch kein ganz abgeschlossenes. Zwar hat die Mobbing-Anführerin die Praxisklasse verlassen müssen, aber andere Mobber sind noch auf dem Schulhof. Deshalb verbringt Finja ihre Pausen überwiegend drinnen. Doch Silke Murach, Jörg Naß und ihr Klassenlehrer Carsten Freels sind überzeugt, dass Finja diesen nächsten Schritt nach draußen schafft. Und in ihrem Inneren glaubt Finja selbst auch daran.



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